Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Weichei oder Wise Guy? - Obama definiert sein außenpolitisches Vermächtnis

Ein knappes Jahr vor dem Ende seiner Amtszeit zieht US-Präsident Barack Obama eine Bilanz seiner Außenpolitik. Auf sein Zaudern in Syrien ist er inzwischen stolz. Und die größte Bedrohung für die USA stelle nicht der IS, sondern der Klimawandel dar

Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

So erreichen Sie Werner Sonne:

Wenn Historiker später einmal zu beschreiben versuchen, was eigentlich der Kern der Obama-Doktrin ist, dann werden sie vermutlich diesen Satz geflissentlich unterschlagen. Aber da er ihn selber gebraucht hat, sei er hier zitiert: „Don´t do stupid shit.“

Diese vier Wörter beschreiben eine Außenpolitik, die viele als den Niedergang von Amerikas Rolle in der Welt kritisieren. Auch Cicero beteiligte sich in der März-Ausgabe lustvoll am Obama-Bashing mit Begriffen wie: „größte Enttäuschung“, „Absturz sondergleichen“, „Zaudern, Zögern und Lavieren“.

Die wohl umfassendste Analyse der sieben Jahre Außenpolitik des 44. Präsidenten der USA hat nun Jeffrey Goldberg in „The Atlantic“ geliefert – und sie hat den Vorteil, dass hier ausführlich wie nie zuvor der so oft Kritisierte selber zu Wort kommt.

Also, was meint Barack Obama mit diesen vier Wörtern?

Obama sieht den IS nicht als existentielle Bedrohung an


Er meint vor allem, dass Amerika sich nicht überall einmischen soll, wo amerikanische Interessen nicht unmittelbar bedroht sind. Und das legt er eben sehr viel enger aus als sein Amtsvorgänger George W. Bush, der Amerika in zwei Kriege in Afghanistan und dem Irak verwickelte. Zum sogenannten Islamischen Staat sagt er: „Isis ist keine existenzielle Bedrohung für die Vereinigten Staaten.“ Und dass er seinen Stab öfter darauf hinweise, dass „der Terrorismus weit weniger Leben in Amerika fordert als Handfeuerwaffen, Autounfälle oder das Ausrutschen in der Badewanne“.

So naiv, wie es klingt, ist seine Politik in der Realität freilich nicht. Man kann es auch als Widerspruch beschreiben. Er war es, der Osama Bin Laden aufspüren und umbringen ließ. Er nutzt wie kein Präsident vor ihm die Kampfdrohnen zur Bekämpfung der vermuteten Feinde Amerikas, „Kollateralschäden“ bei Zivilisten eingeschlossen. Und er sieht als ein Top-Ziel die Tötung des selbst ernannten Kalifen des Islamischen Staates, Abu Bakr al-Baghdadi.

Was Obamas Glaubwürdigkeit wie keine andere Entscheidung zuvor beschädigt hat, was von seinen Kritikern als der Beweis schlechthin für den Verlust des Vertrauens in die abschreckende Wirkung amerikanischer Machtpolitik beschrieben wird, ist sein Handeln in Syrien. Erst drohte er mit einem militärischen Schlag, falls Syriens Präsident Assad die Opposition mit Giftgas angreifen würde. Und als Assad genau das tat, sagte er die fest geplanten Luftangriffe im letzten Moment ab.

Er verkündete eine rote Linie, und als sie überschritten wurde, ließ er den Worten keine Taten folgen. Es war, so sein Chronist Goldberg in „The Atlantic“, der entscheidende Moment in der Präsidentschaft Obamas.

Prioritäten: die Sicherheit Israels und die Verhinderung eines iranischen Atomprogramms
 

Bis heute schäumen seine Kritiker, zu Hause und in der arabischen Welt. Hier auf den Pausenknopf zu drücken und zu durchdenken, „was im amerikanischen Interesse war“, gegen die „Maschinerie unseres Apparates der nationalen Sicherheit“, würde ihn, das war ihm klar, „politisch kosten“ und es sei die härteste Entscheidung gewesen, „die ich je getroffen habe“. Und dennoch sagt Obama heute: „Ich bin auf diesen Moment stolz.“

Was seine Kritiker regelmäßig unterschlagen, ist kein ganz unwichtiger Aspekt. Zusammen mit Russlands Präsident Putin setzte er anschließend durch, dass der größte Teil der syrischen Chemiewaffen vernichtet wurde – wofür er sogar von seinem politischen Erzfeind, Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, gelobt wurde. Und gerne übersehen wird auch, dass Obama den Kongress anrief, der ebenfalls keine Bereitschaft zeigte, einem Militärschlag in Syrien zuzustimmen – ebenso wie im Übrigen das britische Parlament, das Ministerpräsident David Cameron ausdrücklich die Erlaubnis versagte. Auf Seiten Obamas stand Kanzlerin Angela Merkel, die klar machte, dass Deutschland sich nicht an einem Militärschlag gegen Assad beteiligen würde – eine, wie Goldberg feststellt, der „wenigen ausländischen Führungsfiguren, die Obama respektiert“. 

In seiner Prioritätenliste der amerikanischen Interessen bejahte Obama die Verteidigung der Sicherheit Israels (trotz aller Auseinandersetzungen mit Netanjahu) ebenso wie das Ziel, den Iran zu hindern, eine Atombombe zu bauen – erfolgreich, wie wir wissen. Syrien, so stellt Goldberg fest, erreichte diese Messlatte nicht.

Und tut es bis heute ganz offensichtlich nicht. Denn trotz der inzwischen angelaufenen US-Luftschläge gegen Isis in Syrien und dem Irak und dem Einsatz von Spezialkräften, verweigert Obama nach wie vor den Einsatz regulärer Bodentruppen.

Obama: Putin ist „nicht völlig blöd“
 

Ein knappes Jahr vor dem Ende seiner Amtszeit setzt Obama rücksichtslos zum Rundumschlag gegen Freund und Feind an, zu Hause und in der Welt. Im Washingtoner politischen Establishment gebe es ein „Playbook“, sozusagen eine Gebrauchsanweisung, der die Präsidenten zu folgen hätten, und meistens seien es militärische Lösungen, die darin verlangt würden. Dieses „Playbook“ könne aber auch zur Falle werden, was zu schlechten Entscheidungen führe.

Und dann die „Freunde“ im Ausland. David Cameron oder Frankreichs Nicolas Sarkozy bezeichnet er als „Trittbrettfahrer“, etwa bei der Libyen-Intervention, wo er anders gehandelt hätte, wenn er gewusst hätte, wie wenig nachhaltig sich die beiden Antreiber in dieser Militäraktion engagieren würden. Oder die Saudis. Glaubt man dem Chronisten Goldberg, so beklagt Obama, dass die Washingtoner „außenpolitische Orthodoxie“ ihn zwinge, die Saudis als Verbündete anzusehen, obwohl die doch wie andere sunnitische Staaten den anti-amerikanischen Terror befeuerten. Die Saudis müssten den Mittleren Osten eben mit dem Iran „teilen“, in einem „kalten Frieden“. Und Erdogan in der Türkei? Vom Hoffnungsträger zum „Fehlschlag und Autoritären“. Israels Netanjahu natürlich nicht zu vergessen, zu „furchtsam und paralysiert“, um eine Zwei-Staaten-Lösung zu schaffen.

Geradezu freundlich geht Obama mit einem Mann um, bei dem man es mit am wenigsten erwartet hätte: Wladimir Putin. Ihm bescheinigt er immerhin, bei Treffen höflich und offen zu sein, um dann ein etwas zweifelhaftes Kompliment hinzuzufügen. Putin sei zumindest „nicht völlig blöd“, auch wenn sich Russlands Bedeutung in der Welt erheblich verkleinert habe.

Aufmerksamkeit liegt auf China
 

Einen Satz werden viele sowohl in Moskau wie in Kiew besonders aufmerksam gelesen haben: „Es ist eine Tatsache, dass die Ukraine, die kein Nato-Staat ist, verletzlich gegenüber russisch-militärischer Dominanz ist, ganz egal was wir tun.“

Mit anderen Worten: Die Ukraine gehört zum russischen Einflussbereich, und wir können das nicht ändern – eine bemerkenswerte Absage an alle Falken in Washington, die seit Jahren militärische Unterstützung für Kiew verlangen.

Von Russlands Anstrengungen in Syrien gibt er sich nicht sonderlich beeindruckt, er hält sie für einen schweren Fehler: „Sie haben sich zu weit ausgebreitet, sie bluten aus”, dazu bei einer Wirtschaft, die ständig schrumpfe. Ob Putin ihm mit seinem jetzt erklärten, teilweisen Rückzugsbefehl aus Syrien damit Recht gibt?

Für Obama ist freilich klar, wer in Zukunft besondere Aufmerksamkeit verdient und wo die amerikanischen Interessen liegen. Und das ist Asien. Auf das verwendet er viel Zeit und politische Energie, auch gegen ein erstarkendes China, gegen das er Allianzen, etwa ausgerechnet mit dem alten Kriegsgegner Vietnam, aufzubauen versucht. Wobei für ihn klar ist: „Ich habe ausdrücklich gesagt, dass wir mehr von einem geschwächten, bedrohten China als von einem erfolgreichen, aufsteigenden China zu befürchten haben.“

Sein größter Erfolg? Der Pariser Klimagipfel
 

Eine der größten Bedrohungen sieht er auf einem Feld, auf dem auch die Supermacht USA durch ihre militärische Stärke wenig ausrichten kann: „Der Klimawandel ist eine potenzielle Bedrohung für die gesamte Welt, wenn wir nichts dagegen unternehmen.“

Kein Wunder, dass Barack Obama zu den größten Erfolgen seiner Außenpolitik den Pariser Klimagipfel zählt. Die restliche Liste seiner Erfolge, die er selbst so sieht, ist kurz: die Aussöhnung mit Kuba, damit eine Verbesserung der Beziehungen zu Lateinamerika, das Transpazifik-Handelsabkommen und der Atomdeal mit dem Iran.

Obama hat mit seinen freimütigen Einschätzungen über Amerikas Rolle in der Welt vielen seiner Kritiker vordergründig Recht gegeben. Er hat selbst begründet, warum er eine Kultur der Zurückhaltung in der Außenpolitik gepflegt hat.

Sein Chronist Jeffrey Goldberg hat in dieser faszinierenden Bilanz den Historikern das letzte Wort gegeben: „Wenn er jetzt zum Ende seiner Amtszeit kommt, so glaubt Obama, dass er dem Land einen großen Dienst erwiesen hat, indem er es aus den Strudeln herausgehalten hat – und er glaubt, so vermute ich, dass die Historiker ihn eines Tages als weise einschätzen werden, weil er dies so getan hat.“

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.