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EU-Armee - Junckers kühner Plan verdient Unterstützung

Die EU-Mitgliedsstaaten müssen den Sprung zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitik wagen. Der rechtliche Handlungsrahmen gibt es her. Das politische Problem muss überwunden werden. Sonst bleibt Europa eine Macht im Konjunktiv

Johannes Varwick

Autoreninfo

Professor für Politikwissenschaft. Varwick ist Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

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Jean-Claude Juncker hat einen mutigen Vorschlag zur Gründung einer Europäischen Armee gemacht. Statt nach üblicher europäischer Art (muss nicht, geht nicht, klappt nicht) zu reagieren, sollten die politischen Chancen für dieses Projekt nüchtern ausgelotet werden.

Zuerst muss die sicherheitspolitische Lage betrachtet werden. Die „russische Frage“ ist dabei nicht einmal das Entscheidende. Da irrt Juncker. Grundsätzlich kann mittlerweile kein EU-Mitgliedstaat seine Sicherheit mehr alleine gewährleisten und nur noch wenige Staaten verfügen über ein breites Fähigkeitenprofil. Selbst wenn, sind diese auf Partner angewiesen. Neben kleineren Projekten in den Bereichen Ausbildung und Beschaffung gibt es bereits heute erhebliche gegenseitige Abhängigkeiten bei Einsätzen – nicht zuletzt vollständig vom multilateralen Verbund integrierte Strukturen, die rein national nicht mehr funktionsfähig sind.

Die angespannte Lage der europäischen Haushalte wird zudem ihre Wirkung auf den Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik erst in den kommenden Jahren voll entfalten. Bei unveränderten Streitkräftestrukturen und Beschaffungsverfahren wird der Spardruck zwangsläufig zum Abbau militärischer Fähigkeiten in Europa führen. Die europäische Handlungsfähigkeit wird damit weiter eingeschränkt. In Anbetracht des relativen Machtverlusts der USA sind die Europäer gleichzeitig gezwungen, zunehmend mehr Verantwortung zu übernehmen, um Bedrohungen begegnen zu können. Dabei ist nicht in erster Linie an das Ausbalancieren russischer Expansionsgelüste zu denken – dagegen sind die NATO bzw. das politische Gewicht der USA Mittel der Wahl. Vielmehr geht es darum, als Europäer die internationale Ordnung stärker zu stützen, von der wir maßgeblich profitieren. Im Ausnahmefall muss dies auch militärisch geschehen.

Eine Macht im Konjunktiv
 

Die Bestimmungen zur Sicherheitspolitik im EU-Vertrag von Lissabon bieten die Möglichkeit, einen sicherheitspolitischen Ansatz mit entsprechenden Fähigkeiten zu stärken und weiterzuentwickeln. Die Instrumente sowie der rechtliche Handlungsrahmen sind grundsätzlich vorhanden. Das Problem ist jedoch politisch: Es fehlt am Willen, die Instrumente zu nutzen. In sicherheitspolitischen Fragen bleibt Europa einstweilen eine Macht im Konjunktiv.

An diesem Punkt setzt der Juncker-Plan an. Denn ein zentraler Aspekt sicherheitspolitischer Handlungsfähigkeit ist die Frage der militärischen Fähigkeiten. Der Zusammenhang zwischen einsatzrelevanten Fähigkeiten in den Mitgliedstaaten und der Funktionsfähigkeit der EU-Sicherheitspolitik ist gleichwohl nicht zwingend. Die europäische Außenpolitik muss sich jedoch enger abstimmen. Dies wiederum bedeutet aber fast zwangsläufig, dass sich die gesamte EU in Richtung mehr Staatlichkeit und hin zu einem einheitlichen politischen Akteur entwickeln müsste.

Die Bilanz der bisherigen europäischen Anstrengungen – das so genannte „pooling und sharing“ – ist ernüchternd. Solange sich die europäischen Nationen nicht einigen über die Frage, wann und wie Streitkräfte zukünftig eingesetzt werden, wird sich an dieser Ausgangslage nur wenig ändern. Ein wichtiges Hindernis sind die Vorbehalte etablierter sicherheitspolitischer Akteure wie Frankreich, Großbritannien oder Polen, die nur ungern bereit sind, die Entscheidungsgewalt über den Einsatz ihres Militärs mit den Partnern zu teilen.

Europaarmee als logische Folge des Integrationsprozesses
 

Deutschland sollte sich dennoch als Führungsnation für kleinere Nationen anbieten, zugleich aber arbeitsteilige Projekte mit den großen europäischen Nationen initiieren. Die Kooperation mit großen Akteuren wie Großbritannien und Frankreich ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass dringend benötigte Fähigkeiten wie unbemannte Luftfahrtzeuge, Raketenabwehr, weltraumgestützte Aufklärung oder ein europäisches Cyber-Abwehrzentrum kostenintensiv sind und nur mit großen Nationen bewältig werden können. Die Kooperation mit kleineren Akteuren wie den Niederlanden oder Tschechien dient demgegenüber eher dem Fähigkeitserhalt.

Böte sich Deutschland als Führungsnation für die Luftwaffe an, könnten kleinere Nationen ihre Fähigkeiten in dieser Kategorie reduzieren oder gar aufgeben. Deutschland ist dabei aufgefordert, sicher zu stellen, dass seine Partner auch tatsächlichen Zugriff auf die Fähigkeiten haben, die es im Rahmen der „Pooling-und-Sharing-Arrangements“ anbietet. Dabei dürfen Verfahren wie der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht länger unter Bestandsschutz gestellt werden.

Die EU-Staaten sind bereits derart untereinander verflechtet, dass der große Sprung hin zu einer Europaarmee – auch wenn er nicht in kurzer Frist zu verwirklichen ist – eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages die logische Folge des europäischen Integrationsprozesses sein dürfte. Es ist ein zentraler Aspekt einer politischen Union, von der wir aber sehr weit entfernt sind.

Ein Weißbuch für Europa
 

Deshalb sollte – auch wenn dies derzeit viele Sollbruchstellen offen legen würde – eine gemeinsame europäische Militärstrategie erarbeitet werden, die für die Öffentlichkeit sichtbar in einem „Weißbuch Europäische Sicherheit“ erläutert werden sollte. Die inzwischen in Auftrag gegebene Aktualisierung der Europäischen Sicherheitsstrategie kann hier nur ein erster Schritt sein.

Deutschland sollte Pläne für eine bessere europäische Arbeitsteilung bis hin zu pragmatischen Schritten zu einer Art europäischen Armee auf der europäischen Agenda halten, ohne zu erwarten, dass dies kurzfristig durchsetzbar wäre. Wenn dies nicht mit allen 28 EU-Staaten machbar ist, dann muss eben eine Avantgarde vorangehen, ohne andere auszugrenzen.

Die Chancen für dieses Projekt steigen zudem, wenn dies im Konsens mit der NATO geschieht. Die USA, die immer noch einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Verteidigungsfähigkeit der NATO bereitstellen, fordern seit Langem von den Europäern einen größeren militärpolitischen Eigenbeitrag. Wenn etwa im Rahmen der EU ein eigenes militärisches Hauptquartier nach Vorbild der NATO aufgebaut würde, muss zwingend überlegt werden, wie dieses mit den Strukturen der Allianz verbunden werden könnte. Im besten Fall gelingt es, dass sich eine bereits in den 1960er Jahren angedachte Zwei-Pfeiler-Allianz (bestehend aus einem amerikanischen und einem europäischen Pfeiler) entwickelt. Gegen die NATO ist eine Europaarmee zum Scheitern verurteilt, klug gemacht kann sie auch die NATO stärken.

Will man die politische und militärische Handlungsfähigkeit Europas und der Allianz glaubwürdig und wirksam verbessern, kommt man an einer nochmals engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit nicht vorbei. Scheitern oder den großen Sprung wagen. Es geht um die Stärkung der gemeinsamen Handlungsfähigkeit als Alternative zu einer Renationalisierung. Junckers kühner Plan verdient Unterstützung. 

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