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Reporter ohne Grenzen - „Pressefreiheit wird massiv eingeschränkt”

Zum heutigen Internationalen Tag der Pressefreiheit hat Reporter ohne Grenzen die Liste der „Feinde der Pressefreiheit” veröffentlicht. Im Interview äußert sich Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland, zur Situation der Pressefreiheit in Ägypten, Syrien – und zur Kritik an seiner Organisation

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Herr Mihr, wie viele Journalisten sind im laufenden Jahr in Ausübung ihres Berufs getötet oder inhaftiert worden?
Bislang sind 19 Journalisten und neun Online-Journalisten und Bürgeraktivisten getötet worden – die meisten in Syrien. Außerdem zählen wir 174 inhaftierte Journalisten und etwas mehr als 160 inhaftierte Online-Aktivisten.

Auf der Liste der Feinde der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen heute veröffentlicht, stehen erstmals auch die ägyptischen Muslimbrüder.
Mit ihrer Hilfe wurde Präsident Mursi gewählt. Wir beobachten jetzt, dass nach und nach Herausgeber und Chefredakteure staatlicher Zeitungen durch Muslimbrüder-getreue Leute ersetzt werden. Außerdem überzieht Generalstaatsanwalt Talaat Abdallah kritische Journalisten mit Klagen, etwa wegen Verleumdung oder Beleidigung des Präsidenten. Ausländische Journalisten werden immer wieder als Spione diffamiert. Einheimische Kollegen werden mit Gewalt bedroht.

Außerdem neu auf der Liste: Die syrische al-Nusra-Front.
Das ist eine Rebellengruppe. Der Konflikt in Syrien ist nicht so schwarz-weiß, wie das in den Medien häufig dargestellt wird. Die al-Nusra-Rebllen sind dem islamistischen Terrornetzwerk al-Qaida gegenüber loyal. Sie greifen systematisch Mitarbeiter von Staatsmedien an; außerdem bedrohen und entführen sie ausländische Korrespondenten, die sich kritisch über die Rebellen äußern. Überhaupt sind in Syrien weiterhin dramatische Entwicklungen zu beobachten: Seit Ausbruch des Kriegs im Frühjahr 2011 sind dort mindestens 23 Journalisten und 59 Bürgerjournalisten getötet worden.

Einige Staaten stehen seit Jahren unverändert auf Ihrer Liste.
Leider. Die Situation in Russland, Belarus, Aserbaidschan und Mexiko ist unverändert problematisch. In diesen Staaten wird die Pressefreiheit wirklich massiv eingeschränkt. Auch in Italien beschränken einzelne Mafia-Gruppen die Pressefreiheit. Und in Afghanistan und Pakistan bekämpfen weiterhin Taliban die freie Presse.

Gibt es Orte, an denen Sie Verbesserungen feststellen können?
Ja, durchaus – zum Beispiel in Birma oder in Spanien. Wir haben den Präsidenten Birmas, Thein Sein, von der Liste gestrichen. Im vergangenen Jahr wurden zahlreiche innenpolitische Reformen durchgesetzt: Inhaftierte regimekritische Journalisten wurden freigelassen; die Vor-Zensur im Printjournalismus wurde abgeschafft; seit diesem Frühjahr ist außerdem die Herausgabe privater Zeitungen erlaubt.
In Spanien haben wir die baskische Terrororganisation ETA von der Liste der Feinde der Pressefreiheit genommen. Die ETA hat den bewaffneten Kampf weitgehend aufgegeben. Das heißt aber nicht, dass es dort nicht nach wie vor Journalisten gibt, die unter Polizeischutz arbeiten müssen.

Wer genau nimmt diese Einschätzungen vor?
Unsere Korrespondenten, unsere Partnerorganisationen. Außerdem haben wir – sowohl in unserem internationalen Sekretariat in Paris als auch hier in Berlin – Sachverstand, aufgrund dessen wir Informationen zuverlässig recherchieren und bewerten können. Letztlich handelt es sich also um ganz normale journalistische Recherche. Aber natürlich ist das auch ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit, mit dem wir auf besondere, schwierige Situationen aufmerksam machen wollen. Denn: Öffentlichkeit bietet verfolgten Journalisten Schutz.

Reporter ohne Grenzen wird unter anderem vom französischen und vom amerikanischen Staat sowie von der EU finanziert. Immer wieder wird Ihrer Organisation deshalb vorgeworfen, abhängig zu sein und bestimmten politischen Interessen zu dienen. Wie wehren Sie sich gegen diese Vorwürfe? 
Durch Transparenz! Unser internationales Sekretariat wirbt neben Spenden auch bei internationalen Stiftungen und Organisationen Fördergelder ein. Die deutsche Sektion ist organisatorisch und finanziell eigenständig, sie finanziert sich fast ausschließlich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und dem Verkauf unseres Fotobuchs. Unsere Finanzen sind transparent, die kann jeder auf unserer Webseite einsehen. Außerdem: Wir werden zwar viel kritisiert, aber solange die Kritik von vielen unterschiedlichen Seiten kommt, würde ich sagen: Es funktioniert. Aber klar kann man Vorurteile haben. Die kann man den Leuten auch nur zu einem gewissen Grad nehmen.

Herr Mihr, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Das Gespräch führte Christophe Braun.

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