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Afrika-Flüchtlinge - Europa, ein Friedhof der Träume

Sie riskieren Leib und Leben: Zehntausende Flüchtlinge aus Afrika versuchen jährlich, nach Europa zu gelangen. Dabei wissen sie ganz genau, dass sie kaum Chancen auf Erfolg haben

Autoreninfo

Katrin Gänsler ist freie Journalistin in Afrika. Sie lebt in Lagos (Nigeria) und Cotonou (Benin).

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Der Himmel ist strahlend blau und der Sandstrand glänzt fast weiß im Sonnenlicht. Mehrere dutzend Pirogen liegen dort dicht beieinander und sind mit dicken Seilen vertäut. Die langen Fischerboote sind kunstvoll bemalt und verziert worden. Jedes einzelne sieht aus wie ein individuell gefertigtes Schmuckstück. Gerade im Senegal haben sie eine lange Tradition, schließlich gehört die Fischerei zu den wichtigsten Einnahmequellen des Landes. Doch mittlerweile sind die Pirogen zum Symbol für die riskante und oft tödliche Reise der Flüchtlinge nach Europa geworden.

Auch Fischer Baye Laye will sie in dem mehrfach prämierten Spielfilm „La Pirogue“ („Die Piroge“) des senegalesischen Filmemachers Moussa Touré unbedingt antreten. Er will auf die Kanarischen Inseln und sich von dort aus aufs spanische Festland und vielleicht sogar bis nach Frankreich durchschlagen. Mehr als eine Adresse und eine Telefonnummer für sein neues Leben als Illegaler hat er nicht im Gepäck, dafür aber das Wissen, dass Europa in der Krise steckt. Seine Frau, die gegen die Reise ist, sagt es ihm, und auch: „Ich will nicht, dass Du fährst.“

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Es ist eines der wichtigsten Anliegen von Filmemacher Touré, der für „La Pirogue“ beim Filmfest München mit der Auszeichnung „Bester Internationaler Film“ geehrt wurde. „Die Menschen im Senegal wissen sehr genau, was sich in Europa abspielt. Ihnen ist die Krise bekannt.“

Mali fordert einen Gipfel zum Thema Flüchtlinge


Dazu tragen internationale Medien bei. Die Radioprogramme der British Broadcasting Corporation, der Deutschen Welle und Radio France International rangieren in der Beliebtheitsskala in vielen westafrikanischen Ländern weit oben. In Hotels und Restaurants flimmern, sobald es Satellitenfernsehen gibt, Nachrichtensender wie CNN und France 24 über die Bildschirme. Damit dürften viele Afrikaner sehr viel besser über das, was mit Flüchtlingen in Europa passiert, informiert sein als umgekehrt. 

Der jüngste Fall, das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa, hat selbstredend auch in afrikanischen Medien für große Schlagzeilen gesorgt. „Friedhof der Träume“ oder „Lebensgefährliche Bootstour nach Lampedusa“ titelten die Zeitungen auf dem Kontinent und sorgten damit auch auf politischer Ebene für Reaktionen. So fordert Ibrahim Boubacar Keïta, Malis neu gewählter Präsident, nun einen Migrationsgipfel, um weitere Tragödien wie diese zu verhindern.

Doch nicht erst seitdem ist bekannt, wie gefährlich die Überfahrt ist. „Im Senegal gibt es in jeder Familie jemanden, der versucht hat, mit dem Boot sein Glück in Europa zu finden“, sagt Filmemacher Touré. Daher würden die Menschen genau wissen, worauf sie sich einlassen. Die Flüchtlinge wissen, dass die Holzboote, die bis zu 20 Meter lang sind, nur mit einem Motor ausgestattet sind. Fällt dieser aus, ist die Chance, überhaupt ein Ufer zu erreichen, minimal. Viele Boote werden überladen. Essens- und vor allem Wasservorräte reichen oft nicht aus. Auf der Strecke vom Senegal bis zu den Kanarischen Inseln sollen in den vergangenen Jahren mehr als 5000 Menschen ums Leben gekommen sein, so lauten Schätzungen. All diesen Menschen, die sich so auf den Weg nach Europa machen, hat Moussa Touré seinen Film gewidmet.

„Es hieß, dass ich dort als Frisörin arbeiten kann“


Trotzdem treibt die Perspektivlosigkeit in der Heimat gerade junge Menschen weiter an, das Mittelmeer zu überqueren. „Hier gibt’s doch keinen Fisch mehr und keine Zukunft“, sagt einer von Moussa Tourés Protagonisten am Anfang von „La Pirouge“. Er ist Fischer und hat keine Schule besucht. Doch nicht nur für ihn stehen die Chancen schlecht. Selbst mit Hochschulabschluss arbeiten viele Menschen oft in schlecht bezahlten Jobs, um über die Runden zu kommen – falls sie überhaupt eine Stelle finden.

Anwilika ist es ähnlich gegangen. Sie ist nicht einmal 20 Jahre alt, ist klein und zierlich, was die Jeans und das enge T-Shirt noch unterstreichen. Manchmal kichert sie verlegen. Die junge Frau spricht meist Pidgin-Englisch und will auch ihren echten Namen nicht verraten. Sie hat ohnehin schon den Makel, dass sie zu jenen gehört, die es nicht geschafft haben. Denn auch Anwilika wollte - wie Zehntausende Flüchtlinge jährlich - nach Europa. wohin genau, das war ihr egal. „Es hieß, dass ich dort als Frisörin arbeiten kann“, erinnert sie sich. Theoretisch möglich wäre das zwar auch in Nigeria, aber die Chancen, mit dem Job über die Runden zu kommen, wären für sie als Einsteigerin minimal gewesen. 

In Afrikas einwohnerstärkstem Staat Nigeria (160 Millionen Einwohner) lag die offizielle Arbeitslosenquote im vergangenen Jahr beispielsweise bei knapp 24 Prozent. Unter den Jugendlichen waren es sogar 40 Prozent. Das Meinungsforschungsinstitut NOI Polls mit Sitz in der nigerianischen Hauptstadt Abuja ging Mitte dieses Jahres sogar davon aus, dass etwa 70 Prozent der 15- bis 24-Jährigen ohne Arbeit sind.

Genau das trieb Anwilika in die Arme von Menschenhändlern. Dafür kam sie nach Benin City. Die Stadt im Süden des Landes, die seit Jahrhunderten ein wichtiges Handelszentrum ist und lange Zeit für den Sklavenhandel bekannt war, ist dafür zur Drehscheibe geworden. Verbindungsmänner machen hier jungen Frauen Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa. Häufig versprechen sie ihnen eine Ausbildung. Im Gegenzug sollen sie als Haushaltshilfe, Kindermädchen oder Frisörin arbeiten. „Ich wurde von Männern angesprochen, die mir von Europa erzählten. Das hat sich gut angehört“, erzählt Anwilika. Sie ist in der Wirtschaftsmetropole Lagos groß geworden und hat keinen Schulabschluss.

Dass sie keinesfalls in einem Frisörsalon hätte arbeiten sollen, war ihr nicht klar. Das beteuert sie immer wieder. Denn wenn die jungen Frauen über den gefährlichen Landweg, der über Niger, Algerien und Marokko führt, überhaupt lebend ankommen, landen sie stattdessen auf dem Straßenstrich oder in Bordellen. Dort müssen sie die „Kosten“ für die Überfahrt und den Aufenthalt in Europa abarbeiten.

Ahnungslos trotz Aufklärung


So weit hat es Anwilika nicht geschafft. An der Grenze zum Nachbarland Niger wurden sie und ein paar andere Mädchen geschnappt und zurückgebracht. Die staatliche Agentur NAPTIP („National Agency for Prohibition of Traffic in Persons and other Related Matters“) hat ihre Kontrollen in der Gegend deutlich verschärft. Sie arbeitet mit Immigrationsbehörden zusammen. Zahlen über die tatsächlichen Erfolge der Arbeit hat sie aber nicht. Manchmal heißt es, dass jedes Jahr Zehntausende junge Nigerianer versuchen, auf illegalem Weg nach Europa zu kommen.

Das zweite Standbein der Agentur ist deshalb seit einigen Jahren Aufklärungsarbeit. Bei Schulbesuchen sprechen die Mitarbeiter Mädchen und junge Frauen an und warnen vor den Risiken, der oft tödlichen Reise durch die Sahara und vor falschen Versprechen.

Doch laut der nichtstaatlichen Organisation „Society for the Empowerment of Young Persons“ (SEYP), die sich in Benin City schwerpunktmäßig um Rückkehrerinnen kümmert, hält sich der Wunsch, irgendwie nach Europa zu gelangen, weiterhin hartnäckig. Das gelinge, so SEYP, weil ein Teil der Opfer trotz Aufklärungsbemühungen tatsächlich ahnungslos bleibt. Das beteuert auch Anwilika, die noch nicht so richtig weiß, ob sie sich über die missglückte Ausreise freuen soll oder nicht. „Es sollte in Europa doch besser werden“, sagt sie.

Familien nehmen die Prostitution billigend in Kauf


Für SEYP ist es ein gängiges Motiv. Die jungen Frauen wollen in Europa ihre Familie daheim mit Geld unterstützen. Mitunter nehmen die Familien aber auch billigend in Kauf, dass ihre Kinder in der Prostitution arbeiten. 

Die starke Bindung an die Familie übt einen besonderen Druck auf die illegalen Auswanderer aus. Häufig legen Familienangehörige zusammen, um die Überfahrt zu finanzieren. Je nach Route und Transportmittel kostet diese mitunter mehrere tausend Euro. Eine Summe, die sich ganz arme Familien gar nicht leisten könnten. Angekommen in Europa, muss dieses Geld erst einmal wieder abgearbeitet werden. Häufig dauert es Jahre, wenn Überfahrt und Leben in der Illegalität überhaupt gelingen.

Daran glauben die 30 Reisenden auf Tourés fiktiver Piroge anfangs noch ganz fest. „Bald sind wir in Spanien, im Paradies“ , sagt einer von ihnen überzeugt. Doch die knappe Antwort darauf lautet nur: „Da drüben ist kein Paradies.“

 

 

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