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EU-Gipfel - Europäisch geht anders

Die EU-Staatschefs planen auf dem Flüchtlingsgipfel die Abschottung der Grenzen mithilfe der Türkei. Statt auf Merkels „Willkommenskultur“ setzt die EU nun auf Abschreckung. Die Solidarität bleibt auf der Strecke

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Acht Gipfeltreffen hat die Europäische Union bereits auf die Flüchtlingskrise verwendet. Nun, beim neunten Beisammensein in Brüssel, soll die von Kanzlerin Angela Merkel versprochene „europäische Lösung“ kommen. Endlich, möchte man sagen. Doch die Erfolgsmeldungen vom EU-Gipfel sind trügerisch.

Zwar haben sich die 28 Staats- und Regierungschefs auf eine gemeinsame Verhandlungslinie geeinigt. Doch sie wurde nicht öffentlich gemacht und auch nicht offiziell beschlossen. Offenbar möchten sich die EU-Unterhändler noch Hintertürchen offenhalten. Das dürfte auch dringend nötig sein, denn die Türkei kämpft mit harten Bandagen.

Die Forderungen der Türkei


Schon vor seiner Abreise nach Brüssel gab sich der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kämpferisch. „Die Türkei wird niemals ein Flüchtlingsgefängnis unter offenem Himmel“, sagte Davutoglu. „Unser Angebot liegt weiter auf dem Tisch“, fügte er hinzu. Das heißt: Die Türkei ist nicht ohne Weiteres bereit, von ihren Forderungen abzurücken.

Und die haben es in sich: Als Gegenleistung für die versprochene Rücknahme aller Flüchtlinge − auch der syrischen Bürgerkriegsopfer − in die Türkei fordert Davutoglu weitgehende Visa-Erleichterungen für seine 80 Millionen Bürger, schnellere EU-Beitrittsverhandlungen und eine neue drei Milliarden-Euro-Spritze, also eine Verdoppelung der bisher vereinbarten EU-Hilfe.

Merkels Alleingang


All das hatte Davutoglu schon beim letzten EU-Gipfel gemeinsam mit Kanzlerin Merkel vorgetragen. Der Forderungskatalog war in einer Nacht- und Nebel-Sitzung am Vorabend des Treffens aufgestellt worden; Merkel gab dabei wohl mehr als nur Formulierungshilfe. Weder EU-Ratspräsident Donald Tusk noch Merkels französischer Vorzugspartner François Hollande waren eingeweiht.

Entsprechend groß war die Wut der anderen EU-Chefs. Von Erpressung und Verrat war die Rede, und von einem neuen deutschen Alleingang − genau wie im September, als Berlin ohne Absprache mit Brüssel die Grenzen für syrische Flüchtlinge aufgemacht hatte. Das rächt sich nun. Denn die 27 anderen Staats- und Regierungschefs haben ihre Position in der Zwischenzeit nochmals verhärtet.

Ein Armutszeugnis der EU


Vor allem die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei ist geschmolzen wie Schnee in der Sonne. Als Merkel noch ihre (mittlerweile aufgelöste) „Koalition der Willigen“ unterhielt, war von einigen Hunderttausend die Rede, die Türkei soll sogar eine Million gefordert haben. Doch im Entwurf für den EU-Gipfel ist nun nur noch von 72.000 Menschen die Rede − ein Armutszeugnis angesichts der Millionen Hilfsbedürftigen allein aus Syrien.

Alles, was darüber hinausgeht, würde auf freiwilliger Basis umverteilt − die meisten könnten dann, wie schon bisher, in Deutschland landen. Denn kaum ein EU-Mitglied ist bereit, über die schon gemachten (und nur zu einem winzigen Teil umgesetzten) Zusagen hinauszugehen. Rund 20 Staaten verweigerten die Aufnahme von Flüchtlingen, kritisierte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD).

Europa hat seine Seele verkauft


Eine europäische Lösung sieht anders aus. Von Merkels großen Versprechen, die sie noch nach den Landtagswahlen bekräftigt hatte, ist nichts übrig geblieben. Das gilt auch für die humanitäre Krise in Griechenland. Die katastrophale Lage im Grenzort Idomeni spielte beim EU-Gipfel nur eine Nebenrolle. Hellas könnte sogar noch größere Probleme bekommen, denn es soll im Eiltempo Abschiebelager auf den Inseln in der Ägäis aufbauen.

Denn statt auf Merkels „Willkommenskultur“ setzt die EU nun − mit Billigung der Kanzlerin − auf Abschreckung. Jeder, der auf einer griechischen Insel landet, soll binnen einer Woche in die Türkei abgeschoben werden. Dass es vorher eine „individuelle“ Prüfung von Asylanträgen und keine „Massenabschiebungen“ geben soll, macht die Sache kaum besser. Die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ spricht von einer „Schande für Europa“.

Und was ist mit den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, mit den verfolgten Kurden und der geknebelten Presse? Das war Merkel und den anderen EU-Chefs nicht einmal eine öffentliche Erwähnung wert. Vor allem die deutsche Kanzlerin achtete peinlich darauf, ihren Partner Davutoglu nicht zu verärgern. Der drohte dennoch, den ganzen Deal platzen zu lassen. Armes Europa. Es hat seine Seele verkauft und muss nun die Scherben zusammenkehren.

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